»GrauTöne«
Audio-Produktion, Theater, Dokumentation –
ein Multimediaprojekt zum Familiengedächtnis Dadieu/Moszkowicz

Methodisches
In der Studie „Opa war kein Nazi“ zur Legenden bildenden Rolle des Familiengedächtnisses heißt es: „Paradoxerweise scheint es gerade die gelungene Aufklärung über die Verbrechen der Vergangenheit zu sein, die bei den Kindern und Enkeln das Bedürfnis erzeugt, die Eltern und Großeltern im nationalsozialistischen Universum des Grauens so zu platzieren, dass von diesem Grauen kein Schatten auf sie fällt.“ (Harald Welzer u. a., Opa war kein Nazi, Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt 2002, S. 13) 1956 heiratete der Ahlener Auschwitz-Überlebende Imo Moszkowicz Renate Dadieu, die Tochter des hohen NS-Funktionärs und SS-Oberführers Armin Dadieu. Die Bürgerfunksendung „Deckname `Hansi´“ erzählt in Form eines Features, wie das Familiengedächtnis den Nazi-Opa im Familienalbum präsentiert. „Wir haben es mit dem Problem zu tun, dass eine auf der Ebene der öffentlichen Erinnerungskultur als verbrecherisch markierte Vergangenheit mit einem Familiengedächtnis in Einklang gebracht werden muss, das unter den Erfordernissen von Kohärenz, Identität und wechselseitiger Loyalität jedes Mitglied dazu verpflichtet, die `gute Geschichte´ der Familie aufrechtzuerhalten und fortzuschreiben.“ (ebd., S. 24) Die Besonderheit des hier vorliegenden Falls besteht darin, dass das Familiengedächtnis von einem Vertreter sowohl der „Opfer“-, als auch der „Täter“-Gruppe geprägt wird.

Was das Familiengedächtnis wie ein „Album“ präsentiert, unterscheidet sich oft nicht wenig von dem, was man z.B. in der Schule hört. „Das Normale halt bekommen wir in der Schule. Und die Beispiele dafür, die hört man dann bei der Oma.“ Dabei kommt dem, was man dort hört, eine weitaus größere, da emotional verankerte Bedeutung zu. So „existiert neben einem wissensbasierten `Lexikon´ der nationalsozialistischen Vergangenheit ein weiteres, emotional bedeutenderes Referenzsystem für die Interpretation dieser Vergangenheit.“ Das politisch korrekte Schul-Lexikon hat da oft einen schweren Stand. Seinem rational organisierten Wissen steht ein anderes Medium gegenüber: „das familiale Gespräch, in dem en passant Geschichtsbilder entworfen und gesichert werden, mit denen die Familienmitglieder leben können.“ (ebd., S. 9f) Dennoch sollten „Album“ und „Lexikon“ möglichst zur Deckung gebracht werden.

Drei Generationen kommen ins Spiel: der Nazi-Opa Armin Dadieu, Tochter Renate und Schwiegersohn Imo Moszkowicz, dessen Familie in Nazi-KZs ermordet wurde, sowie Enkeltochter Daniela und deren Ehemann Erwin Ebenbauer. Die Enkeltochter unterschreibt mit „Dadieu-Ebenbauer“. Imo Moszkowicz nennt seinen Schwiegervater in der Autobiographie „Der grauende Morgen“ (Münster 2004) „Hansi“ (S. 55), Deckname des nach Kriegsende flüchtigen Armin Dadieu, später dann Spitzname im Familienkreis.

Fragestellung
Bei einem persönlichen Gespräch im Juli 2012 mit dem Ehepaar Dadieu-Ebenbauer bemerkte Erwin Ebenbauer zur NS-Vergangenheit des Großvaters seiner Frau Daniela: „Sich mit Armin Dadieu ohne Scheuklappen zu beschäftigen, würde ein ganz anderes Licht als heute üblich auf den Nationalsozialismus werfen.“ Bis zu seinem Tod 1978 sei ihr Vater, bis 1945 weltweit renommierter Chemieprofessor in Graz, ein überzeugter Nationalsozialist geblieben, betont seine Tochter Renate Moszkowicz. Er sei aber nie ein Rassist oder Antisemit gewesen. Dem stimmte auch ihr Mann Imo in seiner Autobiographie zu. Im Referenzrahmen des Familiengedächtnisses war Opa also zwar unstrittig ein Nazi, aber kein Nazi, wie man ihn sich heute gemeinhin vorstellt: rassistisch, antisemitisch, geistig ein wenig eingeschränkt. Schwiegersohn Imo Moszkowicz warnt: „Jede Nazifigur läuft in heutiger Zeit Gefahr, dass sie zu einer Karikatur verkommt, weil sowohl Outfit und Sprache und Blindheit des Verstandes, gefühlsmäßig, kaum nachvollziehbar sind.“ (Schlussklappe,, S. 62)

Auf diesem Hintergrund geht es uns um folgende Fragen:

  • Platziert das Familiengedächtnis den Nazi-Opa tatsächlich so im NS-Universum, dass „kein Schatten“ (Welzer) auf ihn fällt?
  • Wie antwortet es auf Opas Sicht des Nationalsozialismus als einer „wundervollen Idee“?
  • Welche Rolle spielt Imo Moszkowicz als Vertreter der „Opfer“ – Gruppe?

These
Es wird sich in diesem konkreten Fall zeigen, dass das „Album“ in der Lage ist, die ideologischen Verkrustungen der political correctness des „Schul-Lexikons“ aufzubrechen und das im Interesse einer Optimierung der Wissensorganisation.

Das dabei entstehende Geschichtsbild könnte eine Zukunft weisende Bedeutung für eine Weiterentwicklung der Erinnerungskultur bekommen. Es löst sich von der Schwarz-Weiß-Malerei einer manichäischen Spaltung in „gute Opfer – böse Täter“ und bevorzugt Grautöne, Zwischentöne, die ein karikierendes Schwarz oder Weiß vermeiden. Dabei kommt etwas weitgehend Tabuisiertes in den Blick: Eine grautönige Sicht Dadieus muss sich nämlich dem als gut Empfundenen der NS-Idee stellen, das vom „Schul-Lexikon“ politisch-korrekter Vergangenheitsbewältigung jedoch in der Regel ausgeblendet wird. Das viele Menschen in einem für sie positiven Sinn Faszinierende der NS-Idee bleibt so im Dunkel, wird allenfalls neonazistischer Propaganda überlassen. (Jureit/Schneider, Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010)

Durch die Auschwitz-Erfahrung Imo Moszkowiczs ist dieses Faszinosum von seiner mörderischen Kehrseite nicht zu trennen. Die Beschäftigung mit dem Familiengedächtnis Dadieu/Moszkowicz schärft den Blick für diese Ambivalenz.

Bürgerfunksendung (16. 3. 2013)
Sie stellt zunächst die beiden Referenzrahmen der Sendung vor: den historischen und den familiären. Es folgt das Bild als Wissenschaftler und Schöngeist, das Renate Moszkowicz von ihrem Vater zeichnet und das ihr Mann Imo in seiner Autobiographie weitgehend übernimmt. Dem schließt sich das politische Selbstbild Armin Dadieus aus dessen „Aufzeichnungen“ an: zunächst als Phase 1 seine Rolle zwischen den Extremen auf dem Weg zur großdeutschen Lösung 1938, dann als Phase 2 sein innerer Rückzug von der SS, als ihm „gewisse Methoden der von der SS geführten Gestapo (die Maßnahmen gegen die Juden usw.) bekannt wurden.“ (Hist. Jb. Der Stadt Graz 10/1978, S. 332) Sein Fazit: „Ich wurde (vom SD) als das gefährliche Problem in Graz – Steiermark betrachtet und bezeichnet.“ (ebd., S. 334)

So entsteht das Bild eines großdeutsch orientierten Nazis, der sich von Teilen des Nationalsozialismus verabschiedet hat, die gemeinhin, wie der Antisemitismus, als dessen ideologischer Kernbestand angesehen werden. Darauf antwortet die Sendung mit dem Auftrag Imo Moszkowiczs bei seinem letzten Besuch in Ahlen (März 2007): „Machen Sie doch einmal etwas zu dem Spruch `Wenn das der Führer wüsste!´“ Diese verbreitete „mythische Phrase“ (Ian Kershaw) halbiert den Nationalsozialismus in das, was der „Führer“ eigentlich wollte, also die „Idee“, und das, was in der Realität daraus gemacht wurde.

In diesem Sinn kann die Frage Imo Moszkowicz in seiner Autobiographie verstanden werden, ob sein Schwiegervater vielleicht ein „um seine Glaubenssehnsucht Betrogener“ war. Den Begriff „Glaubenssehnsucht“ übernahm er von Robert Musil, verbindet ihn mit der Sehnsucht nach Freiheit, sieht diese „Glaubenssehnsucht“ als eine Art Garantie für innere Freiheit. Aber: „Mir ist klar, dass diese Glaubenssehnsucht auch einem Nicht-wahrhaben-Wollen Vorschub leistet.“ (Der grauende Morgen, a.a.O, S. 19) Sie mache auch blind. Sein Schwiegervater also ein durch Glaubenssehnsucht, eine Sehnsucht nach Freiheit, Blindgemachter?

Er nennt ihn einen „aufrechten Teutschen“, dessen großdeutsche Freiheitssehnsucht die NS-„Idee“ verwirklichte und ihn deshalb an sie glauben ließ. Durch das immer deutlicher werdende Grauen, die reale Schattenseite dieser politischen Freiheitsidee, wurde er um das für ihn Gute dieser Idee, also um seine Glaubenssehnsucht, betrogen. Diese Art von Freiheit war in der Realität ohne das Grauen nicht zu haben. Das war der Betrug. Das in einem halbierten Nationalsozialismus, der Spaltung in „wundervolle Idee“ und schlechte Wirklichkeit, zu verleugnen, ist die fatale Illusion, der Selbstbetrug in der mythischen Phrase „Wenn das der Führer wüsste!“ Die „Hansi“-Episode im „Grauenden Morgen“ schließt Imo Moszkowicz wohl nicht zufällig mit der Geschichte von den Ermordeten in den Gaswagen nach Birkenau, erzählt von einem „Täter“ bei der Arbeit an einem Geburtstaggeschenk für „Hansi“.

Hörspiel (21. 3. 2013)
Dass ein manichäisch platter Dualismus „gutes Opfer – böser Täter“, verbunden mit einer reflexhaften Opferidentifikation eine ideologische Fehlkonstruktion ist, zeigt das Hörspiel „Balkan-Express“ am Beispiel der Auschwitz-Erfahrung Imo Moszkowiczs, Stichwort „Grauzone“, wo zügellose Gewalt die Elemente traditioneller Ethik zu einer grauen Masse einschmilzt. (Primo Levi) Opfer und Henker werden einander immer ähnlicher. „Die Uniformierten mussten ihre Hände kaum beschmutzen, ihre Opfer erledigten beinah´ alles selbst.“ (Der grauende Morgen, S. 98)

Das Hörspiel „Balkan-Express“ begegnet dieser Zone, der mörderischen Schattenwelt des NS-Faszinosums „Freiheit“, im Denkhorizont einer heutigen, jungen Generation. Es scheint das faszinierende Freiheitsversprechen, die Entbindung von jeder traditionellen Norm, in Verbindung mit der Faszination exzessiver Gewalt zu sein, das Teile der NS-Ideologie auch heute noch attraktiv macht, wenn diese NS-Bezüge auch oft ganz anders maskiert daherkommen. Roman und Film „Fight Club“ (1999), weltweit noch immer Kult unter männlichen Jugendlichen, sind dafür beispielhaft. Das Hörspiel endet mit einer Paraphrase der Schlussszene des Romans. In der experimentellen Form „Theater im Klassenzimmer“ wird es auch live inszeniert.

Ziel des Projekts
Die Auseinandersetzung mit der Verbindung zwischen Armin Dadieus Stellung zum Nationalsozialismus und der Auschwitz-Erfahrung seines Schwiegersohns Imo Moszkowicz, wie sie das Familiengedächtnis grautönig präsentiert, soll den Blick auf die Ambivalenz des NS-Faszinosums öffnen: grenzenlose Freiheit einerseits, grenzenlose Gewalt andererseits. Es müsste diskutiert werden, wie Armin Dadieu mit seiner Einsicht in diese Ambivalenz der „wundervollen“ NS-Idee umging oder ob er für sie völlig blind war. Welche Konsequenzen zog Imo Moszkowicz in der KZ-„Grauzone“ entgrenzter Gewalt?

.Eine „Vergangenheitsbewältigung“, die den „Nazigroßvater und die jüdischen Auschwitzüberlebenden in sich vereinigt“, wie es Enkeltochter Daniela Dadieu-Ebenbauer von sich selbst sagt, könnte jenseits des etablierten Täter-Opfer-Dualismus für eine junge Generation vielleicht Perspektiven öffnen, die Menschen, die im NS-System lebten, differenzierter zu beurteilen und eben nicht schon im voraus zu „wissen“, wo die „Guten“ und wo die „Bösen“ zu suchen sind. Auch für das angemessene Verständnis des Nationalsozialismus ist eine solche ideologische Blindheit wenig hilfreich.

Die Audio-Produktion Bürgerfunksendung/Hörspiel wird von einer Dokumentation begleitet, die, orientiert an der Familiengeschichte Dadieu/Moszkowicz, auf der Basis historischer Fakten bewertende Einschätzungen erleichtern soll.