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Vierecke

Wie Gameboy Mike den Krieg entdeckt

Mike's Spitzname sagte alles: "Gameboy". Den hatte er seit der fünften Klasse. Inzwischen war Mike ein wenig älter geworden und auch sein Spitzname hatte sich ein wenig verändert. Mike war mächtig stolz darauf. Er war jetzt nicht länger nur der kleine "Gameboy". Er gehörte nun zu einem richtigen Kriegerclan. Mike war zum "War-Gameboy" mutiert, und das kam so. Bei seinen täglichen Streifzügen durch Chatrooms und Email-Foren seiner heiß geliebten Spieler-Communities stolperte er über einen Link, der ihn unheimlich anmachte: "Zweiter Weltkrieg. Am Ende steht der Sieg!" Irgendwie war´s das. Da musste Mike rein. Ein Klick, und die Website hielt, was der Link versprach: Reichsadler, Sturmtruppen und besagter Spruch "Am Ende steht der Sieg!"
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Das war doch nun wirklich etwas anderes als diese kindischen Spielchen, mit denen er bis jetzt seine Zeit vertrödelt hatte, fand Mike. Im Schnellverfahren war aus dem Game- ein "War-Gameboy" geworden, anerkanntes Mitglied einer echten Zocker-Community. Auf nächtelangen LAN-Parties wurde es möglich: "Wir gewinnen Opas Krieg.". Besonders cool fand Mike die Losung seines Kriegerclans "Unsere Ehre heißt Treue". Stolz präsentierte er sich auf seiner neuen Homepage mit dem eingescannten Original: einem SS-Dolch mit der Losung auf der Klinge: "Unsere Ehre heißt Treue!"

Doch wie das Leben so spielt. Eines Tages geschah, was Mike in seinen schlimmsten Träumen befürchtet hatte. Der größte anzunehmende Unfall, der Super-GAU schlechthin war eingetreten. Sein Computer streikte. Das Ding sprach nicht mehr mit ihm. Zu sehen war auch rein gar nichts mehr, nur Schneetreiben auf dem Monitor. "Tja, 'Snow Crash'", bemerkte schnippisch seine Schwester. "Zicke", fauchte Mike zurück, der so fachmännisches Getue nicht ausstehen konnte, bei Frauen schon mal gar nicht. Wie wichtig "Snow Crash noch für ihn werden sollte, ahnte Mike damals noch nicht.

Schmollend zog er sich in seine Bastelecke auf dem Speicher zurück. Mike ohne Rechner - die absolute Leere, das ultimative schwarze Loch. "Da fällt Krieg wohl heute aus!", hatte sein nerviges Schwesterchen noch hinter ihm her gekreischt. Doch nicht einmal auf die eigentlich umgehend fällige Racheaktion hatte Mike jetzt Bock. Ziellos kramte er in den Kisten, Kästen und Pappschachteln herum, die sich im Laufe vieler Jahre auf dem Speicher angesammelt hatten. Seit sein Opa im Altersheim war, lagen auch viele Sachen aus dessen Wohnung hier oben herum. Niemand interessierte sich so richtig dafür. Mike eigentlich auch nicht. Aus purer Langeweile guckte er jetzt mal in diesen, mal in jenen Karton. Opa hatte da alte Photos verstaut. Das wusste er. Für Mike waren es vergilbte Erinnerungen, belangloses, altes Zeug, das ihm nicht viel sagte.

Da schimmerte ihm plötzlich etwas entgegen, dessen helle Umrisse er aus seiner virtuellen Kampfzeit bestens kannte. Wie elektrisiert griff er danach und zog ein schwarzes Stück Eisen mit silbrigen Rändern hervor. Ganz klar, ein Eisernes Kreuz. Dass das ein Orden war, den es nicht erst seit Hitler gab, hatten ihm seine Zocker-Kameraden beigebracht. Jetzt die metallenen Spitzen zwischen den Fingern zu fühlen, war aber doch etwas anderes, als das Zeichen in digitale Bits und Bytes aufgelöst virtuell auf einer Homepage zu sehen. Und schließlich gehörte es nicht einem virtuellen, sondern seinem ganz realen Opa. Ganz sicher konnte der ihm zu dem Kreuz eine Menge erzählen. Gleich nach der Schule wollte Mike ihn im Altersheim besuchen.

Für den Vormittag in der Schule plante Mike einen ganz besonderen Gag. Seinen 68er-Politiklehrer und seine friedenspädagogisch berüchtigte Religionslehrerin hatte er sich für einen kleinen Test ausgeguckt. Er wollte einfach mal sehen, wie die beiden beamteten Friedensprofis auf seinen Fund aus Opas Schachtel reagierten. Was er zuerst zu hören bekam, war ein ellenlanger Vortrag über preußischen Militarismus und dass es eine Schande sei, wie die ewig Gestrigen die Jugend verderben. Diese solle sich lieber für die Eine Welt engagieren und für die Probleme der Fremden in der Bundesrepublik. "Eines der Probleme sind ganz sicher Sie, Herr Politiklehrer", dachte Mike still und freute sich klammheimlich. Test 1 war wie erwartet ausgegangen. Auch Test 2 verlief nach Programm. "Oh, oh, oh!", tönte es Mike aus gespitzten Lippen seiner frommen Friedenspädagogin entgegen. Dann wurden, wie so oft, Mandalas gemalt, heute mit einer Friedenstaube im Zentrum, darüber ein Regenbogen. Mike malte ein Eisernes Kreuz in einem Kreis. "Ist doch auch ein Mandala!" Triumphierend hielt er sein Kunstwerk der verblüfften Pädagogin entgegen. "Wenn Sie wollen, male ich auch noch einen Regenbogen drum rum." "Oh, oh, oh!" Mehr fiel ihr dazu nicht ein.

Als Mike am Nachmittag mit Opa durch die Stadt ging, fand er zu seinem großen Erstaunen das Mandala vom Vormittag wieder: ein Eisernes Kreuz in einem Kreis, als Mosaik in den Boden des Marktplatzes eingelassen. Dahinter erhob sich eines jener beiden altmodischen Denkmäler, an denen Mike zwar jeden Tag auf seinem Schulweg vorbeikam. So ganz genau angesehen hatte er sie sich aber noch nie. Warum auch? Engel und Jesusfiguren waren nicht seine Welt. Als er jetzt mit seinem Opa davor stand und der ihm ein bisschen dazu erzählte, kam Mike plötzlich eine zündende Idee: "Hier geht genau das ab, was wir immer spielen: 'sauberer Krieg'" "Nur mit einer anderen Software", meinte Opa, der zwar alt war, aber nicht hinter dem Mond lebte. Dabei wies er seinen, in Religionssachen ahnungslosen Enkel auf das fromme Bildprogramm hin. "Ganz tief da drin versteckt sich der wirkliche Krieg." "Daraus ließe sich was machen", überlegte Mike. Beide grinsten sich an: "Oh, oh, oh...!"

Wochen waren vergangen. Opa und Enkel hatten viel Zeit damit verbracht, die vergilbten Erinnerungen auf dem Speicher zu sichten. "Beachte das Wortspiel 'Speicher'", erklärte Mike, als er mir Jahre später seine Geschichte erzählte. "Wir haben auf dem Speicher einen tollen Datenspeicher angezapft, Opas Bilder vom 'schmutzigen' Krieg. Auch in Opas Kopf. Wir haben die Codes der Software geknackt, den frommen und den Nazi-Code - Enigma, Rätsel waren gelöst, wenn dir auch dieses Wortspiel was sagt." "Und ob", nickte ich Mike zu. "Snow-Crash, nicht nur bei der Wehrmacht."

Irgendwann musste wohl auch Mike's kleiner Bruder irgend etwas von diesem "Snow Crash" mitbekommen haben. Jedenfalls störte er an einem Samstag Nachmittag seinen Vater bei der Sportschau mit lästigen Fragen:

"Papa!" "Hm, lass mich in Ruhe! Hier geht's um Schalke."
"Du, Papa!" Die kleine Nervensäge ließ nicht locker.
"Ja, was is' denn? Du störst! Oder guck Schalke und halt die Klappe!"
Nach kurzer Pause: "Papa, Mike hat gesagt, Opa hat gesagt, Soldaten waren Mörder."
"So, hat er?!" Schalke schien tatsächlich zu gewinnen.
"Du, Papa! Du warst doch auch Soldat."
"Wie? Ja sicher...Warum schießt der Idiot nicht! Sag mir, warum der nicht schießt...Übrigens war ich bei der Bundeswehr und nicht in Opas Wehrmacht."
Schuss an die Latte, Vater kriegte Zustände. "Dann war also Opa ein Mörder und du nicht?"
Vater explodierte: "Nein, Opa war kein Mörder und ich war auch kein Mörder und was sind das überhaupt für blöde Fragen?"
"Aus! Aus!", tönte es aus dem Fernseher. Schalke hatte verloren.

Ausgerechnet in diesem Moment kamen Opa und Mike ins Zimmer, der ideale Zeitpunkt. "Was erzählst du den Kindern für einen Müll!?", fiel dann auch sofort lautstark Bundeswehr-Sohn über Wehrmacht-Vater her. "Oh, oh, oh! Peace! Pace!", grinste Mike und zog Opas Eisernes Kreuz aus der Jackentasche. "Zeig her!" Mike's Bruder war kaum zu bremsen. "Finger weg! Nix zum Spielen!" "Sehr richtig", schnauzte sein Vater, immer noch wütend auf Schalke und überhaupt. "Man spielt nicht mit der Tradition!" Woher ihm dieser Satz plötzlich kam, wusste er nicht. Welche Tradition?!

Mike hatte inzwischen sein neues Notebook aufgeklappt, Opas Kreuz an eine Ecke des Bildschirms gehängt und präsentierte dem staunenden Familienclan seine Homepage mit dem Titel "Eisernes Kreuz. 3 x Krieg im Blick." Virtuell besuchten sie die Denkmäler auf dem Marktplatz, zapften Opas Bildspeicher auf dem Speicher an, und auch Mike's kleiner Bruder sah jetzt klarer in Sachen "Mörder", sein Vater in Sachen "Tradition". Mike's Zocker-Community wunderte sich zwar, dass der SS-Dolch mit dem markigen Spruch "Unsere Ehre heißt Treue" verschwunden war, trug es aber mit Fassung. Die Gamer wussten jetzt wenigstens, was sie spielten, wenn sie spielten. Dafür war Mike's Homepage ok. Sogar Mike's sonst so zickiger Schwester fiel so recht kein schnippischer Spruch zum digitalen Produkt ihres sonst so bespöttelten "Gameboys" ein. Und das hieß schon was!

Eisernes Kreuz - 3 x Krieg im Blick

Die Geschichte
Snow Crash: Wie Gameboy Mike den Krieg entdeckt

Die Ausstellung

Virtuelle Kriege(r) - Mike entdeckt den Krieg!

Enigma:
Kriegerdenkmäler - die Software des christlichen Blicks (EK I)
Kraljevo 1941 - die Software des faschistischen Blicks (EK II)
Scharnhorst & Co - die Software eines anderen Blicks (EK III)

Kraljevo 2005 - Mike hat die Codes geknackt!

"Snow-Crash" ist der Titel eines Romans des Spezialisten für Virtual Reality Neal Stephenson. Das Wort meint das Schneetreiben auf dem Monitor nach einem Systemabsturz. Sein zweites Buch "Cryptonomicon" handelt von der kriegswichtigen Entschlüsselung des Codes der deutschen Wehrmacht "Enigma". Dieses Wort bedeutet Rätsel. Auch Gameboy Mike löst in unserer Geschichte "Snow Crash" drei Rätsel - 3 x Krieg im Blick. Er knackt die Codes der Software beschweigenden Erinnerns von Krieg, bekommt aber auch einen Blick, wie wir der heutigen Realität von Krieg begegnen sollten. Als "virtueller Krieger" durchschaut Mike die Virtualisierung heutiger Kriege (Cyberwar, Netwar). Seine Gegenstrategie: Kraljevo 2005 - Folgen eines virtualisierten Krieges für konkrete Menschen. Sie zeigt das "Böse der Abstraktion" (Derrida) virtueller Wahrnehmung von Krieg. Der Mensch gerät aus dem Blick. Dieses Programm lässt Mike abstürzen - "Snow-Crash".

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