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Auschwitz – Gott – Chagall
Referat im Kunstmuseum Ahlen am Auschwitz-Tag 2004

Mit den Augen Chagalls: Felix Nussbaum und das Geheimnis der Erlösung
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Nussbaums Traum: Der Antichrist

Ein solches Gebet wird für mich dann unerträglich, wenn ich es mit den Ohren christlicher Tradition höre. Die Dialektik von Katastrophe und Erlösung gerät dann schnell in die Fänge des Deutungsmusters "Durch Leiden und Tod zur Auferstehung", von Karfreitag zu Ostern", "Triumph, der Tod ist überwunden!" Ein penetranter Halleluja-Triumphalismus, bei dem schnell der auferstandene Herr Jesus nicht nur himmlischen Heerscharen siegreich gegen den bösen Feind voran zieht.

Es sei nicht verschwiegen, dass sich gerade das Messianische als Motor eines solchen kriegstreibenden Triumphgeschreis staatstragend einbauen lässt. Werfen wir noch einmal einen Blick auf Nussbaums Traum. Am Vorabend der Machtergreifung Hitlers spricht er eine visionär eindringliche Warnung vor dieser politischen Perversion des Messianischen aus. Der Schlüssel dazu liegt bei den drei Männern an der Tür des Ateliers. Wie der Brautmann im Zentrum tragen sie Brautschleier, sind also entsprechend unserer Deutung des androgynen Transvestismus Symbole einer messianischen Endzeit. Es kommen jedoch noch zwei Accessoirs hinzu, die recht seltsam wirken: ein Oberlippenbärtchen und eine Augenklappe. Der Einäugige und der mit dem Oberlippenbart, die beiden bilden eine Einheit, Bart und Klappe sind auf gleicher Höhe.

Beginnen wir mit der Augenklappe, also mit dem Einäugigen. In einem Seminar zu Nietzsches "Zarathustra" in Zürich hat der Psychologe C.G.Jung vier Jahre nach dem Nussbaum-Bild und drei Jahre nach Hitlers Machtergreifung auf der theoretischen Grundlage seiner Archetypenlehre Nussbaums Traum gleichsam kommentiert. Er legte in dem Seminar und in weiteren Aufsätzen ausführlich dar, dass die kollektiv-mentale Kraft hinter der Massenbewegung des Nationalsozialismus die Dynamik eines verdrängten Archetyps sei. Etwas Verdrängtes breche wieder durch, das sich in Gestalt des germanischen Göttervaters Wotan Ausdruck gebe. Und dieser war bekanntlich einäugig. Dass der Einäugige in Nussbaums Traum neben dem Mann mit dem Schnurrbart erscheint, nimmt Jungs Satz bildhaft vorweg: "Wotan ist die Personifikation des bewegenden Geistes hinter Hitler...Jetzt (also 1936, d.Verf.) ist Wotan im Zentrum Europas." (Seminar on Nietzsches Zarathustra, S. 196) Dass daseinmal so kommen würde, hatte der Jude Heinrich Heine bereits 1836 hundert Jahre vor Jung geahnt: "Die alten stummen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome!"

Jetzt scheint diese Zeit gekommen. Im Schatten Wotans betritt Hitler Nussbaums Atelier, messianisch verkleideter Antichrist. Denken wir daran, dass Begriff wie "Drittes Reich" oder "Tausendjähriges Reich" messianisch aufgeladene Begriffe sind. Ersterer aus der Geschichtstheologie des Joachim von Fiore bezeichnet den Anbruch des messianischen Reiches des Heiligen Geistes; letzterer ist der Geheimen Offenbarung des Johannes entnommen und bezeichnet die tausendjährige Friedensherrschaft, die mit dem Endsieg Christi über den Satan die definitive Endlösung für das Böse bringt. Eine mittelalterliche Erzähltradition aus dem Umfeld des staufischen Mysterienspiels "Ludus de Antichristo" im späten 12. Jahrhundert besagt, dass sich der Antichrist als Messias verkleiden werde. Bevor er den Endkampf mit Christus beginne, werde er zunächst die Juden vernichten. Erst wenn der letzte Jude getötet sei, werde das finale Armaggedon hereinbrechen: der Vernichtungskreig zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Finsternis, Christus und dem Antichrist, der mit dem Endsieg Christi ende.

Während Jung in Zürich weiter über Wotan meditierte, hat 1937 der jüdische Philosoph Ernst Bloch in seinem Prager Exil die messianische Maskierung des Nationalsozialismus in dem höchst instruktiven Aufsatz "Originalgeschichte des Dritten Reichs" entlarvt. Er betonte dabei die gewaltige Sprengkraft, die der Messianismus entwickelt. "Das hat", so sein Fazit, "der braune Hund gerochen". (Politische Aufsätze 1934-1939, S. 310)

Nussbaum konfrontiert den "braunen Hund" mit dessen messianischem Orginal. Durch das Bild geht ein Riss. Auf der einen Seite der Rotbart mit Nussbaum, auf der anderen die braune Meute, auf der einen Seite das jüdische Original des Messianischen, auf der anderen dessen nationalsozialistische Perversion. Bald wird sich die Meute auf den Juden stürzen und mit ihm so verfahren, wie es die Perversion vorgibt: In dieser Perspektive ist Nussbaums Traum eine apokalyptische Vision der Endlösung. In deren messianischer Maske zeigt er genau das, was die Nazis wollten – Vernichtung nicht nur von Juden, sondern des Judentums schlechthin mit allem, was es repräsentiert. Und dazu gehört auch das so ganz andere Bild von Gott, das der Rotbart Nussbaum und der "Jude in Rot" uns zeigt.

Elie Wiesel, durchdrungen vom Geist chassidisch-kabbalistischer Mystik, bringt dieses ganz Andere imBild von Gott in einer kleinen Geschichte auf den Punkt:

Eine Gruppe von Juden versammelte sich in einem Vernichtungslager zum Gebet. Und einer von ihnen sprach: "Pst! Betet nicht so laut!Gott könnte sonst hören, dass es noch Juden gibt, die leben."

Die Wahrheit "mit rotem Bart". "Den Namen des Allerhöchsten trug sie auf den Lippen." Mit Gott stimmt etwas nicht und der "Jude in Rot" kennt die Wahrheit. Sie zu erinnern, ist das Geheimnis seiner Erlösung. Diese Erinnerung zu vernehmen, könnte vielleicht auch zur Erlösung christlicher Gottesbilder beitragen.

Wie bedürftig einer Erlösung das christlich-apokalyptische Bild von Gott ist, das uns Nussbaums Traum im Kontrast zum jüdischen vor Augen führt, zeigt die Website "Christenkreuz und Schwarze Sonne". Ich besprach dieses Gottesbild, in dem sich Akteure des Nationalsozialismus wie Goebbels und Himmler leicht wiedererkennen konnten, in einem Referat zur Symbolik der SS-Kultstätte Wewelsburg während der "Woche der Brüderlichkeit" 2001.

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