Woche der Brüderlichkeit Projekte |
Gegen ein Feindbild Islam "Krieg" gegen die islamische Welt - Samuel P. Huntington und sein Buch "Kampf der Kulturen" |
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Standard: Auf BBC hat man sie sogar im SplitScreen-Verfahren hämisch gegen die US- Verwüstung gestellt. Kluge: Auf CNN war man zurückhaltender und fragte mehr nach individuellen Erfahrungen der Betroffenen in New York. Dieser Arzt zum Beispiel, der da über ein Auto erzählt, das ihm Schutz war, und er wirkt wie ein Opfer aus dem alten Pompeji - das kommt dem Bedürfnis der Menschen nach fassbaren, tröstenden Erklärungen entgegen. Auch die fortwährende Wiederholung, die Zerdehnung der Zeit - dass man das alles immer wieder sieht -, das hat etwas Tröstliches. Standard: Aber ist in diesen Wiederholungen die Nachrichtenindustrie nicht gleichzeitig Bestandteil eines terroristischen Dauerbeschusses? Kluge: Mag sein. Gleichzeitig fungiert sie als Filter. Stellen Sie sich vor, Sie sehen, wie dieses Flugzeug in den Turm rast. Dann wird der Bildschirm dunkel: Nachrichtenpause. Ihnen wäre ungeheuer unheimlich. Unsere Vorstellungskraft, um ein solches Entsetzen als echt zu realisieren - sie braucht Zeit. Mein erster Eindruck war zum Beispiel: Die Elektronik dieser Flugzeuge ist gestört. Wie Fliegen ins Licht werden vielleicht noch mehr Flugzeuge in diese Türme rasen. Ich dachte nicht an Attentäter, sondern an eine grobe Störung, dem Wahnsinn ähnlich. Die Vorstellung passt sich sehr langsam an. Der Mensch braucht mehrfache Blicke, um etwas wahrzunehmen. Standard: Und dies überwiegt gegenüber dem Effekt eines "Mitspielens" der Medien? Kluge: Jede Öffentlichkeit funktioniert so. Aber auf Öffentlichkeit kann man nicht verzichten, weil sie Menschen verbindet - und damit verbindet sie natürlich auch die falschen und gefährlichen Nachrichten. Der Gegenpol dazu wäre Zensur. Und die wäre sicher unheimlicher. Die Abwesenheit des US- Präsidenten zum Beispiel hat mich richtig gestört. Ich brauche ihn vielleicht psychisch nicht. Aber dass er jetzt, nach Tagen des Urlaubs und der Weltabgewandtheit, gleich wieder in einem sicheren Bunker verschwindet, das wirkt auf meine Vorstellungskraft infektiöser: Es ist noch unheimlicher als die horrenden Signale, die die Terroristen ins Bild setzen. Standard: Wie werden sich die realen Katastrophenbilder auf Hollywoods Desasterbilder auswirken? Kluge: Weiß ich nicht. Gegen Horrorfilme bin ich in nächster Zeit gefeit. Die Medien werden es jedenfalls in nächster Zeit schwer haben mit der Wirklichkeit, dem Hauptmedium, mitzuhalten. Das können sie ja nicht überbieten. Vor der Verletzlichkeit, die diese Bilder jetzt signalisieren, wird ja auch jede Kriegsvorstellung, wie sie George Bush in Form moderner Kavallerieattacken gehabt haben mag, sehr antiquiert. Ein klares Beispiel für die Änderung der Maßverhältnisse am Beginn des 21. Jahrhunderts. Schon der Golfkrieg war nicht mehr zu fassen, und jetzt diese Bilder - so schnell geht das. Oskar Negt und ich arbeiten gerade zu diesem Thema an einem großen Kompendium unter dem Titel Der unterschätzte Mensch. Standard: Wie im Bereich der modernen Wissenschaft kann die Menschheit nun also auch im Bereich des Krieges nicht mehr "mithalten"? Kluge: Das ist ein guter Vergleich. Wir haben da eine Eskalation. Eine Evolution des Krieges, die wir in keiner Weise verstanden haben. (DER STANDARD, Printausgabe vom 14. September 2001) |
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