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Vierecke

Wo war Gott?
Tikkun olam ...

... die Antwort einer fremden Kultur
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Der Holocaust und die Frage nach dem gerechten Gott"
Ansprache von Dr. Christoph Münz am 9. November 2004 in Ahlen
anlässlich der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht

Die für christliche Ohren vielleicht schockierendste Antwort könnte ein Zitat des Holocaust-Theologen Rabbi Blumenthal sein: "Wir müssen auch Gottes dunkle Seite akzeptieren und lernen, mit ihr umzugehen. Wir dürfen sie nicht dadurch verdrängen, dass wir nur das Liebe und Gute an Gott zulassen und das Böse von ihm abspalten." Gott sei wie ein Vater, der seine Kinder, das Volk Israel, missbrauche!

Ein solches Gottesbild erscheint einem christlich geprägten Bewusstsein, mag dieses im kirchlichen Sinne nun "gläubig" sein oder nicht, inakzeptabel. "Gott" ist ihm das Gute und Lichte. Das Böse und die Finsternis haben da keinen Platz und werden dem Konstrukt eines teuflischen Widersachers zugeteilt und/oder der Bosheit und Freiheit des Menschen. Woraus das Böse dann aber entspringt, wenn doch der gute Gott alles gut erschaffen hat, bleibt Gegenstand endloser und rational wenig befriedigender theologischer Diskussionen. Die Antwort der hebräischen Bibel und ihrer talmudischen und kabbalistischen Kommentatoren, dass das Böse seinen Ursprung in Gott selbst haben könne, ist der christlichen Kultur mit ihren griechisch metaphysischen Voraussetzungen (etwa der Definition Gottes als das "summum bonum") im Gegensatz zur jüdischen Kultur fremd.

Im 12. Jahrhundert fand deren Antwort im talmudischen Judentum eine religionsphilosophisch höchst bemerkenswerte Form: In Südfrankreich (Narbonne) und Nordspanien (Gerona) entstand die Kabbala, die nach der Katastrophe des sephardischen Judentums, der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492), von Isaak Luria in einer ganz spezifischen Weise weiterentwickelt wurde. Auf die Frage "Wo war Gott?" gab Luria eine Antwort, die der der Holocaust-Theologen des späten 20. Jahrhunderts nicht unähnlich ist und auf das Unheil in Gott selbst (!) verweist. Lurianische Kabbala und Holocaust-Theologie zielen nach den geschichtlichen Erfahrungen einer Existenz vernichtenden, historischen Katastrophe darauf ab:

Es ist die religiöse Pflicht des Menschen, das Unheil in Gott durch Ritus und Gebet zu heilen, wie es seine soziale Pflicht ist, das Unheil in der Welt durch entsprechendes Engagement zu heilen (tikkun olam). Beides sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Heilung Gottes ist Heilung der Welt (tikkun olam), Heilung der Welt ist Heilung Gottes. Die sich daraus entwickelnde innerweltliche Spiritualität prägt auch heute jüdische Gemeinden und Gruppen. Als Beispiel sei die Gruppe um die Zeitschrift "Tikkun" genannt Den Bezug zu aktuellen Kabbala-Rezeptionen stellen u.a. folgende Artikel her:

A Warsaw Mystic in Newton. The Kabbalistic Thought of Arthur Green (Jan/Febr 2004) (Von dem Autor stammt u.a. das Buch: "Physician of the Soul. Healer of the Cosmos - Isaac Luria and His Kabbalistic Fellowship", Stanford 2003)

Madonna´s Challenge: Understanding Kabbalah today (Nov/Dez 2004)

Ausführlich wurde dieses spirituelle Modell des "Anderen der abendländischen Geschichte" (Lyotard) am Auschwitz-Tag 2004 im Rahmen der Ausstellung "Auf den Spuren Marc Chagalls. Jüdische Künstler in Russland und Polen mit ihrem Beitrag zur Moderne (1910 - 1928) im Ahlener Kunstmuseum am Beispiel des Chagall-Bildes "Der Jude in Rot" von Dietmar Hecht erläutert:

Mit den Augen Chagalls: Felix Nussbaum und das Geheimnis der Erlösung Ein Gespräch zwischen westjüdischer Traditionskrise und ostjüdischer Spiritualität

Die Teilnehmer der Gedenkfeier am 9. November 2004 hatten die Möglichkeit, ihre Gedanken und Fragen zu der Ansprache am Mahnmal mit Christoph Münz zu diskutieren. Dazu fand im Anschluss an die Feierstunde eine Gesprächsrunde in der Familienbildungsstätte statt. Sie zielte darauf, einen Blick zu entwickeln und zu schärfen: Was als Meinungen der Holocaust-Theologen gehört wurde, ist die Stimme einer Kultur, die sich von der christlich geprägten fundamental unterscheidet. Das Gerede von der "jüdisch-christlichen Kultur des Abendlandes" war und ist eine gefährliche Illusion, wenn man es als jüdisch-christliche Einheit meint. Das Gegenteil war und ist der Normalfall. Zwei Kulturen, nicht eine, die nur zu oft völlig Verschiedenes meinen, wenn sie Gleiches sagen. Auch das hat im Gespräch für viele Fragen gesorgt, wird es doch durch die Illusion falscher "Normalität" liebend gerne verschleiert. "Dialog" auf solcher Basis kann nur illusionär sein. Das Geschrei gerade auf christlicher Seite ist groß, wenn diese Illusion wieder einmal von den "uneinsichtigen, rechthaberischen und arroganten" Juden zerstört wird.

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