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Vierecke

Auschwitz – Gott – Chagall
Referat im Kunstmuseum Ahlen am Auschwitz-Tag 2004

Mit den Augen Chagalls: Felix Nussbaum und das Geheimnis der Erlösung
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Wo war Gott?

Sind wir ganz von dir geschieden?
Ist uns, Gott, in solcher Nacht
Nicht ein Hauch von deinem Frieden,
deiner Zukunft zugedacht?

Mit dieser Strophe, die Sie gerade hörten,beginnt ein Gedicht Gershom Scholems zu Franz Kafkas Roman "Der Prozess". Er hatte es Walter Benjamin gewidmet,der später auf der Flucht vor den Nazis an der Grenze zu Spanien seinem Leben selbst ein Ende setzte. Wo ist Gott? Die Frage, wo denn Gott war, als er zu Auschwitz schwieg, durchzieht meine folgenden Gedanken wie ein roter, wenn auch nicht immer sichtbarer Faden. Wie kann nach Auschwitz noch an Gott geglaubt werden? Wir werden sehen, wie gerade die ostjüdische Spiritualität, die uns kaum überbietbar klar in Marc Chagalls "Jude in Rot" begegnet, darauf eine Antwort geben könnte. Sehen wir in dem, wofür Auschwitz steht, die Katastrophe der Moderne schlechthin, dann geht die Antwort dieser Spiritualität über die religiöse Frage weit hinaus. Sie bezieht das Projekt der Moderne insgesamt mit ein. Die Katastrophe von Auschwitz markiert nicht zwangsläufigdas Scheitern des Projekts der Moderne. Sie enthüllt vielmehr das Unheil dieses Projekts und ruft dazu auf, dieses Unheil, das Unheil der Welt, in der wir leben, zu heilen.

Genau hier, so die spirituelle Botschaft des "Juden in Rot", öffnet sich der mögliche Antworthorizont auf die Frage, wo Gott war: Heilen wir das Unheil der Welt, heilen wir das Unheil in Gott, das ihn zu Auschwitz schweigen ließ. Heilen wir das Unheil in der Welt, dann folgen wir dem göttlichen Ruf aus diesem Schweigen, den der 1916 in Halle geborene Rabbiner Emil Ludwig Fackenheim, einer der Wortführer der Holocaust-Theologie, das "614. Gebot" nennt. Die Botschaft der Stimme einer erneuten Offenbarung Gottes, die aus dem Schweigen zu Auschwitz herüberdringt, lautet:

Juden ist es verboten, Hitler einen posthumen Sieg zu verschaffen. Ihnen ist es geboten, als Juden zu überleben, ansonsten das jüdische Volk unterginge. Ihnen ist es geboten, sich der Opfer von Auschwitz zu erinnern, ansonsten ihr Andenken verloren ginge. Ihnen ist es verboten, am Menschen und an der Welt zu verzweifeln und sich zu flüchten in Zynismus oder Jenseitigkeit, ansonsten sie mit dazu beitragen würden, die Welt den Zwängen von Auschwitz auszuliefern." (zit.n. Christoph Münz, Der Welt ein Gedächtnis geben. Geschichtstheologisches Denken im Judentum nach Auschwitz, Gütersloh 1995, S. 287)

Ich lade Sie im Geiste dieses "614. Gebots" nun zu einer Reise ein, die von der deutschen Lebenswelt des Jahres 1932 eines assimilierten Judentums in eine spirituelle Dimension des 1948 gegründeten Staates Israel führt. Wegweiser wird die Spiritualität jener ostjüdischen Lebenswelt sein, die der Holocaust vernichtete.

Jenseits einer historischen Betrachtung möchte ich versuchen, diese ostjüdische Spiritualität zu erschließen, wie sie sich in Marc Chagalls Bild "Der Jude in Rot" aus dem Jahr 1915 ausdrückt. Dem rationalistisch und eher religionsfern eingestellten Westeuropäer der Gegenwart fällt es erfahrungsgemäß zunächst recht schwer, sich in dieses spirituelle Modell der ostjüdischen Lebenswelt Chagalls hineinzuversetzen. Wir stehen damit in einer Tradition mit jenen westlich assimilierten Juden, die seit Aufklärung und Emanzipation im 19. Jahrhundert meinten, sich von allem, was sie für "Mystik" hielten, verabschieden zu müssen. Das Werk Chagalls kann helfen, gerade diese hierzulande noch immer weitgehend verschütteten jüdischen Quellen neu zu entdecken. Ein solches Gespräch zwischen westjüdischer Traditionskrise und ostjüdischer Spiritualität dürfte unser gängiges Bild vom Judentum gründlich, aber angemessen verändern.

Zwischen Tradition und Moderne

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