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Auschwitz – Gott – Chagall
Referat im Kunstmuseum Ahlen am Auschwitz-Tag 2004

Mit den Augen Chagalls: Felix Nussbaum und das Geheimnis der Erlösung
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Marc Chagalls "Jude in Rot": Das Geheimnis der Erlösung

Doch was ist es, das in Gott geheilt werden soll? Woher kommt das Unheil? Worin besteht das Geheimnis der Erlösung?Die Suche nach Antworten auf diese Fragen führt uns zu einer der volkstümlichsten und gerade wohl deshalb wirkmächtigsten Vorstellungen der Kabbala. Sie ist, symbolisch verschlüsselt, neben der weißen Hand der männlichen Gestalt angedeutet in dem kleinen Baum,der dort in die Erde gepflanzt ist.

Das spirituelle Modell der Kabbala drückt sich symbolisch in einem Baum aus, der gleichsam vom Himmel aus dem unsichtbaren und unzugänglichen Ursprung Gottes (Ein Sof) herabwächst und sich in die Erde, das "Königreich Gottes" (malkuth) hinabsenken will. Es ist ein Baum aus zehn Lichtern, Abglänzen Gottes, den kabbalistischen Sefiroth. Zu ihnen gehören die rote Sefira Gebura (Gottes richterliche Strenge), die grüne bzw. gelbe Sefira Tifereth (Gottes Barmherzigkeit und Schönheit, auch das "Herz des Himmels" genannt) und die weißeSefira Chessed (Gottes Gnade und Liebe). Roter Bart sowie grüne und weiße Hand des "Juden in Rot" sind also Sefiroth des kabbalistischen Lebensbaums , der insgesamt das Herabströmen der Lichtfülle Gottes in die Welt symbolisiert. Er repräsentiert das Gottesbild der Kabbala, und es ist diesem eigen, dass sich in Gott ein Bruch vollzogen hat.

Die zehnte Sefira Malkuth nämlich (das "Königreich Gottes") ist von den anderen neun getrennt. Der Himmelsbaum ist nicht mehr in die Erde eingepflanzt. Die Gegenwart Gottes in der Welt, Gottes "einwohnende Herrlichkeit", wie sie der chassidische Rabbi Baal Shem Tov nennt, hat ihre Verbindung zum Ursprung verloren und ist heimatlos im Exil der Welt verstreut.So gesehen, ist das Bäumchen neben der weißen Hand ein Hoffnungsbild und ein Symbol der Erlösung. Wenn auch noch ein zartes Pflänzchen, so ist es doch bereits eingepflanzt. Doch wie kommt es dazu? Ein Ihnen allen bekanntes Wort des chassidischen Baal Shem Tovgibt darauf die Antwort:

"Vergessen verlängert das Exil.
Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung."

Dieser Satz muss bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten zur "jüdischen" Anreicherung von Sonntagsreden herhalten und wird dabei vor allem deshalb trivialisiert, weil in der Regel nur der zweite Teil zitiert wird. "Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung." Von einem Exil soll jedoch erlöst werden. Dazu dient Erinnerung.Durch Vergessen würde es verlängert. Sperrig für das gängige Verständnis von bloßer historischer Erinnerung ist das Wort vom "Exil". Was für ein "Exil" soll beendet werden? Was für eine Art von "Erinnerung" soll das sein, die das leistet? Offenbar zielt sie auf "Erlösung", also eine dezidiert religiöse Kategorie, nicht einfach auf Befreiung oder Rettung. Damit kann der Sonntagsredner nun aber gar nichts anfangen und deshalb wird diese erste Hälfte des Satzes meistens unterschlagen.

Ohne seinen kabbalistischen Hintergrund muss der vollständige Erinnerungssatz in der Tat völlig unverständlich bleiben. Erst dieser Hintergrund kann das Wort vom Exil entschlüsseln. Er geht auf ein Bild aus dem Talmud zurück: Gottes Einwohnen in der Welt, seine Schechina, wurde durch die Zerstörung des Jerusalemer Tempels in ein Exil verwandelt. Gott hat seine Heimstatt verloren. Dieser Exil-Status nahm bildhaft weibliche Gestalt an. Gottes exilierte Schechina wird als Frau vorgestellt. Ihrer Klage aus dem Exil hat Leonard Bernstein in seiner Kaddish-Symphonie musikalisch Ausdruck gegeben. Er gab der Schechina eine Stimme, die den innergöttlichen Traum einer heilenden Vereinigung besingt:

Blicke zärtlich auf mich, auf uns, auf alle deine Kinder hier in diesem heiligen Haus, und wir werden zärtlich auf dich zurückblicken. Mein Vater, Herr und Geliebter, mein Bild und mein Selbst! Wir sind ein Eines, Du und ich. Zusammen leiden wir, zusammen sind wir, und zusammen erschaffen wir uns neu,ein jeder den anderen.

Die Kabbala hat hier das Bild aus dem Talmud mystisch transformiert und den Exilzustand in Gott selbst hineinverlegt. Durch Gott selbst geht ein Riss. Er hat sich von seiner Schechina getrennt und sie in die Verbannung geschickt. Darin besteht sein Unheil. Die Heimkehr der Schechina aus dem Exil, oder anders ausgedrückt, das Einpflanzen des Lebensbaums in "Malkuth", die zehnte Sefira, würde Gott erlösen. Auf den Punkt gebracht geht es in dem Satz vom "Geheimnis der Erlösung" also um die Erlösung Gottes. Diese geschieht durch das erlösende, sprich: erinnernde Handeln des jüdischen Volkes, das das Exil der Schechina deshalb niemals vergessen darf. Erinnerung ist hier kein historisches Bearbeiten der Vergangenheit. Sie ist ein praktisches Tun, das sich auch rituell ausdrücken kann. So ist der Rat des Baal Shem Tov an seine chassidische Gemeinde als Rat, sich zu erinnern, zu verstehen: "Bete stets für Gottes einwohnende Herrlichkeit, dass sie aus der Verbannung erlöst werde." Hier kommen wir nun auf das Bild Nussbaums, nämlich auf die in Spitzenkleider gehüllten "Brautmänner" zurück. Die Lesart des Bildes, die jetzt mit den Augen Chagalls möglich wird, möchte ich nennen: Nussbaums Traum – dem Archiv verschrieben: Die Wiederkehr des Verdrängten

Gedächtnis und Erinnerung

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