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Vierecke

Auschwitz – Gott – Chagall
Referat im Kunstmuseum Ahlen am Auschwitz-Tag 2004

Mit den Augen Chagalls: Felix Nussbaum und das Geheimnis der Erlösung
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Nussbaums Traum: Verdrängtes Gottesbild

Das Gebet für die Erlösung der Schechina Gottes aus dem Exil und damit für die Erlösung Gottes fand und findet noch immer seine eindrucksvolle Form im Ritual das Sabbath, auf das ich bereits kurz hingewiesen habe. Ich hatte dort den Anfang des Hymnus "Lecha dodi" zitiert: "Auf, mein Freund, der Braut entgegen!" Jetzt kann dieses Gebet in seinem kabbalistischen Entstehungskontext verstanden werden. Der Hymnus wurde 1560 von dem Kabbalisten Rabbi Salomo ha-Levi Alkabez im galiläischen Ort Safed, noch heute eine "heilige Stadt" der Kabbala, komponiert. David S. Ariel, ein geistiger Schüler Gershom Scholems, schreibt dazu:

Diese Hymne machte aus der Freitagsliturgie bei Sonnenuntergang ein Drama ersten Ranges: Die Gemeinde ging, wie auf einer Hochzeit in Weiß gekleidet, tatsächlich auf die Felder von Safed hinaus, um die Schechina zu begrüßen. Diese Vorstellung beruht auf dem Aufruf zum Sabbath im Talmud: "Kommt, wir wollen gehen, die Königin Sabbath zu empfangen!"(B.T. Schabbath 119a). Die rabbinische Metapher vom Sabbath als Braut hängt mit dem kabbalistischen Glauben zusammen, der die Schechina als Sabbatbraut betrachtet. Die Schechina kommt mit der untergehenden Sonne aus dem Westen, empfangen wird sie von Tifereth aus dem Osten. (Die Mystik des Judentums, München 1993, S. 160)

Die grüne, rechte Hand des "Juden in Rot" haben wir bereits als die Sefira Tifereth identifiziert: Gottes Barmherzigkeit, das "Herz des Himmels". Seine rechte Hand der Barmherzigkeitstreckt er jetzt der Schechina entgegen, während an ihn aus dem Gelb des Hintergrunds – ebenfalls, wie wir sahen, einem Farbsymbol für die Sefira der Barmherzigkeit Tifereth – der Ruf ergeht: "Abraham, steh auf und geh!" Hinzufügen können wir jetzt: Abraham, steh auf und geh der Braut entgegen! Die KöniginSabbath sollst du empfangen. Unter diesem Blickwinkel wird das Bild Chagalls zum Spiegelbild des Nussbaum-Bildes: "Auf", sagt nun auch der rotbärtige "Brautmann" dem Osnabrücker Sohn Abrahams, "der Braut entgegen!" – ein Ruf aus der Tiefe des kollektiven, jüdischen Gedächtnisses. Kabbalistisch auf den Punkt gebracht, ist er zugleich ein Ruf Gottes an sich selbst: "Steh auf, deine im Exil umherirrende Schechina sollst du empfangen!" Doch hören wir dazu weiter David S. Ariel:

Die Gemeinde ist die Hochzeitsgesellschaft, die den Bräutigam der Braut entgegenführt, indem sie Tifereth sagt: "Auf mein Freund, der Braut entgegen, die Königin Sabbath wollen wir empfangen!" Der Sabbath wird in eine kosmische Hochzeit zwischen männlicher Tifereth und weiblicher Schechina Gottes umgewandelt. Es obliegt der Gemeinde, die beiden Liebenden zusammenzubringen, denn ohne ihre Hilfe geschieht das nicht. In den meisten Gemeinden wird diese Hymne heute gesungen, ohne dass man sich der ihr innewohnenden, kabbalistischen Bedeutung bewusst wäre. (ebd.,S. 16of)

Das dürfte ganz gewiss auch für die Osnabrücker Gemeinde der Zeit Nussbaums gegolten haben. Man sang das halt so. "Andachtsjargon" nannte das einmal der Religionspädagoge Hubertus Halbfas für die frommen Sprüche und dogmatischen Formeln christlicher Gottesdienste. An der historischen Oberfläche ist dann Nussbaums Bild ein Ausdruck für den Zwiespalt eines westjüdisch assimilierten Malers zwischen hohler Tradition und einer ihn erfüllenden Kunst der Moderne. Die kollektiv-mentale Tiefenstruktur, die wir mit den Augen Chagalls inzwischen erschlossen haben, lässt jetzt aber einen Einblick in die unbewusste Bearbeitung dieses Zwiespalts zu. Diese Bearbeitung ist es, die ich "Nussbaums Traum" nenne, nicht eine historische Erinnerung mit schlechtem Gewissen an eine religiös garnierte Jugendzeit, sondern eine Öffnung des Archivs seines jüdischen Gedächtnisses, das sich in Bildsymbolen zu Wort meldet. Das rationalistisch verdrängte Gottesbild kehrt zurück, und das in seiner extrem mystischen Form, eine kompensatorische Reaktion des kollektiven Gedächtnisses auf eben diesen Rationalismus der westjüdischen, assimilierten Lebenswelt.

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