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Vierecke

Gegen ein Feindbild Islam
Dialog der Kulturen

Zusammenprall der Interpretationen
"Krieg" gegen die islamische Welt - Samuel P. Huntington und sein Buch "Kampf der Kulturen"

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Michael Fleischhacker

Die US-Propaganda spricht von "Krieg" gegen die "Feinde" der "Zivilisation" und meint damit die islamische Welt. Ein epochaler Kurzschluss, den wir Samuel P. Huntington und seinem Buch "The Clash of Civilizations" ("Kampf der Kulturen") verdanken.

Seit der Harvard-Politikwissenschafter Samuel P. Huntington 1983 in der von ihm mitbegründeten Zeitschrift Foreign Affairs seinen Aufsatz "Clash of Civilizations?" veröffentlichte, gehört er zu den bestimmenden Akteuren der Debatte über die strategisch-politisch-militärischen Szenarien des 21. Jahrhunderts.

In malariaartigen Schüben, die immer auftreten, wenn militärische oder terroristische Aktionen von besonderer Grausamkeit geprägt sind - man nennt das dann "Angriffe auf die Zivilisation" -, bemüht man seine Thesen. Huntington hat sie 1996 in Buchform vorgelegt, mit einer entscheidenden Weglassung - das Fragezeichen kommt in "Clash of Civilizations" nicht mehr vor - und unter Hinzufügung von statistischem Material, das seine nunmehr von einer Hypothese zu einer Theorie verfestigten Überlegungen untermauern soll.

Huntington suchte nach einer Erklärung dafür, dass das "Ende der Geschichte", das Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus ausgerufen hatte, nicht nur nicht zur Totalhegemonie des westlich-demokratisch-marktwirtschaftlichen Systems führte, sondern im Gegenteil zum Ausbruch von Konflikten, die seiner Ansicht nach weder durch das alte Erklärungsmodell der Stellvertreterkriege innerhalb der bipolaren Weltordnung noch durch ein Wiederaufleben des klassischen nationalstaatlichen Denkens erklärbar waren.

Im Kern besagt also die Rede vom "Clash of Civilizations", dass die Konfliktherde des 21. Jahrhunderts nicht ideologischer oder ökonomischer Kultur seien, sondern als Auseinandersetzungen von Staaten und Gruppen zu verstehen seien, die verschiedenen "Kulturen" angehören. Huntington definiert dabei sieben solcher Kulturen: die chinesische, die japanische, die hinduistische, die islamische, die westliche, die lateinamerikanische und die afrikanische.

Fundamentalkritik

An diesem Punkt setzte mit einigem Recht die Fundamentalkritik seiner Gegner an: Erstens sei ein "Kultur"-Begriff fraglich, ja, nicht tragfähig, der sich fast ausschließlich auf Religion und Sprache stütze. Zweitens ließe sich keine der genannten Kulturen ausreichend scharf eingrenzen - die Unterscheidung zwischen "islamisch" und "afrikanisch" etwa stößt bald an ihre Grenzen. Und drittens sei es unsinnig, derart generalisierend von einer "westlichen" Kultur zu sprechen.

Vor allem die Vereinnahmung des "Westlichen" veranlasste Kritiker wie den Politologen Panajotis Kondylis ("Das Politische im 20. Jahrhundert") zu der Vermutung, hier ginge es eher um die Beschreibung des amerikanischen Selbstverständnisses nach dem Ende des Kalten Krieges als um ein tragfähiges Erklärungsmuster für die Konflikte des 21. Jahrhunderts.

Kondylis meint, dass Huntingtons Thesen "partielle Wahrheit" zugestanden werden müsste, äußert aber die Befürchtung, dass sie zur "ideologischen Polarisation" missbraucht werden könnten. Genau dies scheint nun der Fall zu sein, wenn die US-Administration nach den Terrorattacken von New York und Washington den Begriff der "westlichen Kultur" überhaupt mit dem der "Zivilisation" in eins setzt. Zunächst scheint das auch zu gelingen: Die "chinesische Kultur" stimmt dieser Vereinnahmung zu, indem sich China bereit erklärt, am "Krieg" gegen die Feinde der "Zivilisation" teilzunehmen.

Von den sieben Kulturen bleibt angesichts der Fokussierung des Interesses auf Osama Bin Laden nur die islamische als jene übrig, die sich außerhalb der neuen Größe "Zivilisation" befindet. Huntington würde sich wohl dagegen verwahren, als Pate der antiislamischen Kampagne gehandelt zu werden, die sich dieser Tage anbahnt.

Gleichwohl hat er es sich selbst zuzuschreiben, weil er in seinem Buch jede Differenzierung gegenüber dem Phänomen Islam vermissen lässt, indem er beispielsweise den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in gleicher Weise als Auseinandersetzung zwischen einer islamischen und einer nichtislamischen Kultur beschreibt wie den Krieg in Bosnien.

Auch die Diktion, in der er fragt, woher denn die "muslimische Neigung zum gewaltträchtigen Konflikt" komme, macht ihn für solche Vereinnahmungen anfällig. Gültig bleibt aber Huntingtons Hinweis darauf, dass die Rolle der Religion während der "Vakuum"-Phase das Kalten Krieges sträflich unterschätzt wurde.

Neuer Ansatz

Der "Clash of Civilizations" wird also von einem "Clash of Interpretations" begleitet, und auch Huntington ist in diesem Kampf um tragfähige Interpretationen des weltweiten Konfliktgeschehens nicht stehen geblieben. Gemeinsam mit dem aus Wien stammenden Soziologen Peter L. Berger arbeitet Huntington am Forschungsprojekt Many Globalizations: Cultural Dynamics in the Contemporary World.

Hier finden die technologisch und ökonomisch getriebenen Modernisierungstendenzen stärkere Beachtung, die unter dem Begriff "Globalisierung" zusammengefasst werden. Der Islam wird nun, neben den evangelikal-protestantischen Freikirchen, als "dynamischste" unter den "parallelen Globalisierungen" interpretiert, die den klassischen Prozess der Globalisierung als "Vehikel" nutzen.

Ob dieser Versuch, durch die Beschreibung eines dynamischen Prozesses die alte Frontstellung zwischen "bösem" Islam und "guter", westlich-demokratisch-marktwirtschaftlicher Globalisierung aufzuweichen, gelingt, muss sich erst zeigen.

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