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(DER STANDARD, Print, 14.09.2001)
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"Unsere Vorstellungskraft braucht Zeit"
Ein Gespräch mit dem deutschen Autor Alexander Kluge über Terrorbilder aus den USA.

"Zuerst dachte ich an eine Störung, dem Wahnsinn ähnlich"

Alexander Kluge über die Katastrophe in New York: "Die Verletzlichkeit eines zivilisatorischen Gemeinwesens ist ... durch diese Wolkenkratzer versinnbildlicht."

Als TV- und Filmemacher hat er die "Unheimlichkeit der Zeit" ausgelotet. Als Schriftsteller und Essayist erforscht er "Geschichte und Eigensinn": Ein Gespräch mit dem deutschen Autor Alexander Kluge über Terrorbilder aus den USA. Von Claus Philipp.

Standard: "Wie im Kino" oder "wie ein Film": Angesichts der Zerstörungsbilder aus den USA suchen die Menschen Vergleiche, als ob das alles gar nicht wirklich wäre. Wie sehen Sie dieses Missverhältnis?

Kluge: Es ist wahr, dass das Kino viele von diesen Fantasiemomenten, die in der Wirklichkeit stecken, vorweggenommen hat. Ich sehe King Kong vor mir, 1928, auf dem Empire State Building: Flugzeuge greifen an, einige rasen auch in die unteren Stockwerke des Gebäudes. Andererseits bezweifle ich, dass auch nur irgendeiner der Terroristen diese Bilder überhaupt kennt.

Was hier zugeschlagen hat, ist ein Wirklichkeitsverhältnis. Was in New York passiert ist, hat mit Hollywood nichts zu tun. Hollywood ist eher auf der Seite des amerikanischen Präsidenten. Der jetzt, wo eigentlich nichts mehr zu machen ist, Flugzeugträger vor New York positioniert oder sagt: "Hunt them down!" - das ist drehbuchmäßig.

Standard: Und dagegen steht die verwüstete Wirklichkeit in Manhattan.

Kluge: Ja, in einer Stadt, in der die Verletzlichkeit eines zivilisatorischen Gemeinwesens durch diese Wolkenkratzer versinnbildlicht ist. Einer hocheuropäischen Stadt, die als einzige Minderheiten in sich vereinigt, wie das früher Babylon gemacht haben mag. Wo eine eigene Sprache entstanden ist: das New Yorker Bewusstsein - aus diesen Gegensätzen heraus. Für mich ist es eine der Spitzenstädte der Zivilisation. Und es ist exzessiv verletzlich. Schon Hitler hat mit seinem Raketenkonstrukteur Oberth den Plan einer Vergeltungswaffe, der berüchtigten V3, entwickelt, die entlang der Stratosphäre, wie ein Stein auf dem Wasser, bis New York Sprengstoff transportieren sollte, "wo man immer was trifft".

Standard: Das hat ja auch schon Thomas Pynchon in seinem Roman Die Enden der Parabel thematisiert.

Kluge: Sehr richtig. Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Das hier ist jetzt keine Fiktion, sondern es ist wahre Wirklichkeit, die den amerikanischen Bildern und Symbolen entgegenwirkt.

Standard: Wie erklären Sie sich nun die Bilderflut zu den Ereignissen in den USA im Vergleich zu jüngsten Kriegsszenarios wie etwa in Kuwait, wo man keine Bilder erhielt?

Kluge: Attentate sind - das war schon in Sarajewo 1914 nicht anders - immer Ins-Bild-Setzungen. Nehmen Sie das Bild von Hans-Martin Schleyer, das uns 1977 erschüttert hat. Die Aufnahmen aus Mogadischu. Dies sind öffentliche Bilder, und genau so ein öffentliches, terroristisches Bild wird jetzt hergestellt: Im Gegensatz zum Bilderverbot von Kriegsführenden. In diesem Sinne setzt sich jetzt ein Stück "Reality" des 21. Jahrhunderts durch gegen - so schlimm das klingt - eine Art von versuchter Zensur. Auch der Untergang der Titanic war so ein Bild, das immer wiederkehrt.

Standard: Das System ist auf Dauer ungeschützt gegen solche "Einbrüche", wie Troja gegen das griechische Holzpferd?

Kluge: So ungefähr. Vielleicht war das trojanische Pferd das erste "öffentliche" Bild, das von einem Dichter bearbeitet wurde. Aber hier ist jetzt keine List im Spiel. Das war pure Gewalt. Odysseus, den ich auch nicht gerade für einen menschlich empfindenden Helden halte: Diese Art von abstraktem Terror war seine Sache nicht.

Standard: Abstrakt? Wohl nur, weil wir keinen Einblick in das Grauen in den Flugzeugen und zerstörten Gebäuden haben.

Kluge: Es gibt tatsächlich eine Grenze der Wahrnehmbarkeit: Die Vorstellung all der Menschen, die zum Beispiel im World Trade Center umgekommen sind, übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Es ist bemerkenswert, wie in einer solchen Situation der Überforderung die Menschen auch vor den Fernsehgeräten Schutz suchen. Viele fahren von ihren Arbeitsplätzen nach Hause zu ihrer Familie, um dort die Bilder zu sehen.

Es hat mich übrigens sehr bewegt, wie taktvoll CNN mit teilweise propagandistisch hochgradig aufladbarem Material umgegangen ist. In Deutschland wurden ja etwa diese Bilder jubelnder Palästinenser, wo man nicht wusste: Sind das 10.000, sind das 1000 oder 100 Menschen oder ist das ein Massenphänomen? - diese Bilder also, die keine Nachricht enthalten, weil sie nebulos sind, wurden immer wieder gezeigt.

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