Woche der Brüderlichkeit Projekte |
Das Gespenst des Archivs von den vier Ecken der Erde. (Jesaja 11, 12) |
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Als der kleine Imo die Kloster- in Nordstraße umbenannte und so gerade machte, was krumm war, gab er dem Raum im Zeichen der Vier die Ordnung der Mitte zurück. Hamlet räsoniert dagegen: "The time is out of joint!" Wie sich Derrida ausführlich über "out of joint" auslässt, so auch über "time": In "The time is out of joint" bedeutet "time" bald die Zeit selbst, die Zeitlichkeit der Zeit, bald das, was durch die Zeitlichkeit ermöglicht wird (die Zeit als Geschichte, der Zeiten Lauf, die Zeit, in der wir leben, unsere Tage, die Epoche), bald infolgedessen auch die Welt, die ihren Gang geht, unsere heutige Welt, unser Heute, die Aktualität selbst: wo´s hingeht und wo´s nicht hingeht, wo etwas fault, wo etwas gut geht oder nicht gut geht, wo etwas geht, ohne zu gehen, wie es sollte, im Lauf der Zeit. Time: Das ist die Zeit, aber auch die Geschichte, und es ist die Welt. Welt als Geschichte. Das hatte wohl auch Imos Ahlener Lehrer Tint im Sinn, als er seinen Schülern in der jüdischen Volksschule in der Klosterstraße den Vers 12 aus dem 11. Kapitel des Propheten Jesaja erklärte: Und er wird ein Zeichen aufrichten unter den Völkern B´arba kanfaus haoretz Bei der Übersetzung der althebräischen Zeile einigte sich der kleine Imo nicht auf "vier Enden", sondern auf "vier Ecken", was mit der ihn irritierenden Ahlener Krummheit zu tun hatte. Lehrer Tint dagegen war begeisterter Zionist, wenig interessiert an derartigen lokalen Raumspekulationen, und entsprechend fiel sein Bild der Welt als das Bild einer Zeit "out of joint" aus. Ihm war sie das seit Babylon: Mit Babylon und der Verwirrung und der Vertreibung fing er an, war bald beim Zionismus angelangt, der uns ins Land der Väter zurückbringen wird. Die kindliche Frage "Ja...wohnt denn da keiner?" wurde "mit einem nachdenklichen `Ja...ja...sicher doch...ganz sicher...´ quittiert." Es überwog aber wohl beim Lehrer die prophetische Gewissheit, "dass das Palästinaland ja sowieso seit altersher uns Juden gehöre." Das Wort "seit altersher" verwebt sich mit dem Versprechen des Jesaja "und er wird..." Dadurch wird es zu eben jener Gewissheit von Imos Lehrer, die den Lauf der Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart, aus einem Versprechen an die Zukunft, also gleichsam aus dieser versprochenen Zukunft heraus entwirft und daran ausrichtet. Im Blick solcher versprochenen Zukunft fügt sich das Ungefügte der Zeit, hört auf "Un-Fug" zu sein, wird Weltgeschichte aber auch zum Weltgericht. Wie Derrida in seinem Kommentar zu Yosef Hayim Yerushalmis "Freuds Moses" versichert, sei so ein Entwurf der Zeit tief im jüdischen Gedächtnis verankert. Er präge dieses Archiv der Erinnerungen strukturell; auf eine bloße Zeitstruktur reduziert, allerdings eine Prägung ohne Eingott und dessen Weltgericht: Das, was das am wenigsten Jüdische wäre, das am meisten "Un-Jüdische", das der Jüdischkeit besonders Heterogene, wäre nicht ein Verstoß gegen das Judentum...(Religion, Glaube an Gott, Auserwähltheit Israels), sondern der Nicht-Glaube an die Zukunft, das heißt an das, was die Jüdischkeit jenseits allen Judentums ausmacht. Jenseits der Vorsichtsmaßnahmen und Bedingungen gibt es da eine Bejahung: das Band zwischen der Jüdischkeit, wenn nicht gar dem Judentum und der Hoffnung im Futur. Wie auch Imo Moszkowicz´s "Zauberflöten"-Paradies dieser Zeitstruktur des Archivs verschrieben bleibt, ohne sich dabei wie sein Lehrer Tint der Vier des Eingotts und dessen rächendem Weltgericht zu verschreiben, wird uns nun zu beschäftigen haben. Wir werden sehen: Das Gespenst der Oper legt die Maske ab. Was bleibt, ist sein "kärgliches Messianistisches", ein Messianisches ohne Messianismus, eine "gespenstische Messianizität" im Zeichen der Zahl drei: Zukunft und Freiheit. (Jacques Derrida, Glaube und Wissen, in: Die Religion, Frankfurt 2001, S. 33; Dem Archiv verschrieben, S. 65) |
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