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Vierecke

Erlösung durch Rache

Von seinem Lehrer Tint erfuhr der kleine Imo, schon damals irritiert von so viel Krummem in seiner Nachbarschaft, dass Gott die Rache zustehe und zwar – das irritierte erneut und nachhaltig – nur ihm.
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Anlass zu solchen dogmatischen Spekulationen gab Conrad Ferdinand Meyers Gedicht von 1892 "Die Füße im Feuer". Dass in diesem Fall der Impuls aus einem christlichen Kulturhorizont kam, machte die Sache keineswegs besser, war aber durchaus symptomatisch:

In einem Gedicht lernte ich, dass ein Opfer sagt: "Mein ist die Rache, redet Gott!" und mein Lehrer korrigierte mich, weil ich in besessener kindlicher Übertreibung, im Vortrag, "Rache" brutalisierte. Er schlug mir vor, das Gewicht des Gedankens auf das Wort "Mein" zu legen, und ich begann zu verstehen, dass Rache dem Menschen nicht zusteht, weil ein Höherstehender sie verwaltet. Ich beschloss diesen Höheren von nun an nicht mehr zu lieben.
(Imo Moszkowicz, Zauberflötenzauber, S. 43)

Warum? Darüber habe ich lange nachgedacht. Kann nicht gerade ein rächender Gott zum bevorzugten Liebesobjekt werden, an dessen Brust man sich ausweinen und im Feuerpfuhl glühendster Rachlust suhlen kann? Lag solche Hoffnung auf eine Genugtuung schenkende Rache - Liebe, gespeist aus der Hoffnung auf Rache - nicht nahe, wenn man Imo Moszkowicz´s abschließenden Satz nicht einfach nur leichthin überliest: "Meine Kindheit und Jugend musste ich in dunkelster Nacht verbringen und weiß - bis zu dieser Stunde nicht! - warum."?

Unterbrochen wurde mein Nachdenken durch eine bezeichnende Geschichte aus dem Mittelalter. Sie wird erzählt von dem israelischen Historiker Israel Yuval in der Zeitschrift "Kalonymos" und ereignete sich in Mainz während der Kreuzzugs-Pogrome von 1096. Ihre Erzählung

sei ein dramatisches Narrativ, erfüllt vom Geist der Selbstaufopferung, von Blut, Grausamkeit und dem Hass zwischen den Religionen. Zugleich aber erspürt man die ungeheure begriffliche, psychologische und symbolische Nähe zwischen Verfolger und Opfer.
(Israel Yuval, Gedichte und Geschichte als Weltgericht. Unetanne tokef, Dies irae und Amnon von Mainz, in: Kalonymos 4/2005, S. 5)

Für eben diese Nähe war mir der genannte Impuls aus dem christlich inspirierten Gedicht "Die Füße im Feuer" symptomatisch, über Gott als den Rächer zu spekulieren. Früh schon richtete sich der kleine Imo gegen diese Nähe auf, kam dem, die Menschlichkeit krümmenden Rachegott, in dem sich Juden und Christen liebevoll und hasserfüllt verkrallten, in die Quere, erfuhr das Kind Imo doch bereits im christlichen, damals noch vorwiegend katholischen Ahlen das Hasspotential von Religion am eigenen Leib:

"Hatte ich nicht genug zu leiden, dass Nichtjuden mich für die Ermordung Christi anhassten?" Und das ohne jeden Grund, denn: "Wenn es meine Prüfung gewesen wäre, diesen Verräter am Judentum an ein Kreuz zu schlagen, ich hätte sie nicht bestanden."
(Zauberflötenzauber, S. 43)

Dazu nun die Geschichte von 1096: Als sich die Kreuzfahrer zum Mittelpunkt der Erde aufmachten, um dort das Grab ihres Erlösers aus der Hand heidnisch-teuflischer Mächte zu befreien, fielen sie auch über die am Wege liegenden jüdischen Gemeinden des Rheinlands her. Als sie im Namen Gottes mordend durch die Gassen und Straßen von Mainz zogen, tötete Rabbi Isaak ben David, Leiter der jüdischen Gemeinde von Mainz, seine Mutter und seine Kinder, sprengte ihr Blut auf die heilige Lade der Synagoge und verbrannte sich dann mit ihr. Das habe, so Yuval, mit halachischem Kiddush ha Schem, der Heiligung des göttlichen Namens durch Selbstaufopferung entsprechend dem Religionsgesetz, nichts mehr zu tun, sondern sei schlicht "ritueller Mord". (Isreal Yuval, Gedichte und Geschichte als Weltgericht, S. 6) In früheren Arbeiten hatte der Historiker bereits auf dessen Motiv hingewiesen:

Erlösung durch Rache, eine Vorstellung, wie sie im aschkenasischen Judentum Mitteleuropas wohl recht verbreitet war im Unterschied zum sephardischen Judentum im islamisch-spanischen Raum, das eher auf eine Erlösung durch Bekehrung setzte. Das Blut der Ermordeten, vom Mörder auf den Toraschrein geschmiert, sollte Gott gleichsam magisch zur apokalyptischen Rache an den Verfolgern zwingen, denn: "Mein ist die Rache redet Gott!" Ausführlich stellt diese Einschätzung Yuvals und die heftige innerisraelische Diskussion dazu sein Kollege Michael Toch an der Hebrew University in Jerusalem dar (Die Juden im mittelalterlichen Reich, München1998, S. 136-138; ferner: Barbara Schäfer, Historikerstreit in Israel, Frankfurt 2000).

Er kommt dabei zu einem Ergebnis, das Yuval noch einmal in dem zitierten Aufsatz "Gedichte und Geschichte als Weltgericht" klar darlegt:

Jüdische und christliche Vorstellungen beeinflussten sich wechselseitig in diesem religiösen Wahn einer "Erlösung durch Rache", enthüllt doch auch in der Apokalypse des Johannes, dem letzten Buch des christlichen "Neuen Testaments", der sogenannte christliche "Gott der Liebe" genau jene eingöttliche Racheseite, die ihn für seine verfolgten Anhänger so liebenswert macht. Denn wenn der große Tag des Zornes (Offb 6, 17) gekommen ist,...

"vier Engel standen an den vier Ecken der Erde"
(Offb. 7,1//Jes 11, 12) -

Die Gebete der Blutzeugen, die zu Gott aufsteigen, erflehen Vergeltung an ihren Mördern; unmittelbar danach nimmt (einer der vier) Engel Feuer vom Altar und schüttet es auf die Erde.
(Israel Yuval, Gedichte und Geschichte als Weltgericht, S. 4)

Mehr apokalyptisch Christliches im Schulprojekt "Das verbotene Zimmer" (>"St. Michael, Coventry und die Männer der Rache")

Als Beispiel für Mozarts kritische Distanz dazu führt Imo Moszkowicz die Strophe Tuba mirum des Dies irae aus Mozarts "Requiem" an, des liturgischen Gesangs der Totenmesse auf jenen Tag des Zorns, an dem einer der vier Engel von den vier Ecken der Erde Feuer auf die Erde schütten wird, Beginn göttlichen Straf- und Weltgerichts:

In diesem Grabgesang zerfetzt der Klang der Tuba, der wie aus einer anderen Welt dröhnt, jegliches christliche Empfinden so eminent, als wollte Mozart einen Schlussstrich unter alle diese verlogenen `Dies irae´ - Versionen mit dem folgenden Schrei `Ihr sollt nicht richten!´ ziehen. Als fordere er mit einer übermächtigen musikalischen Phrase - die ungleich stärker als jedes noch so hochgestelzte Wort ist - die talmudisch-christlichen Begriffe von Schuld, Strafe und Vergebung, die als allerhöchste ethische Vorgaben unserer brüchigen Moral gelten, zu einer Korrektur auf.  (Zauberflötenzauber, S. 78f)

Wenn das Recht auf Rache sinnt...

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