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Vierecke

Wenn das Recht auf Rache sinnt...

Beschloss der kleine Imo diesen Höheren von nun an nicht mehr zu lieben, weil er sich bereits als Kind intuitiv nach etwas anderem sehnte als nach einem Recht, das in göttlicher Racheglut meint, Feuer auf die Erde schütten zu müssen?
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Er gliche wieder Hamlet, von dem der spätere Regisseur der "Zauberflöte" sagt:

Meine Überzeugung ist, dass der Zauderer Hamlet nur darum ein Zauderer ist, weil er nicht rächen kann.
(Zauberflötenzauber, S. 119)

...und will, würde Derrida vielleicht hinzufügen und geht weiter:

Wenn das Recht auf Rache sinnt, worüber Hamlet sich zu beklagen scheint - vor Nietzsche, vor Heidegger und vor Benjamin -, soll man sich dann nicht nach einer Gerechtigkeit sehnen, die eines Tages, eines Tages, der nicht mehr der Geschichte angehörte, eines gleichsam messianischen Tages, endlich der Fatalität der Rache entzogen wäre? Besser als entzogen: unendlich fremd, unendlich heterogen in seiner Quelle? Und liegt dieser Tag vor uns, wird er kommen, oder ist er älter als das Gedächtnis selbst?
(Jacques Derrida, Marx´ Gespenster, S. 39)

Könnte in solchem Sehnen nach jener unendlich fremden, unendlich heterogenen Quelle ein biographischer Ursprung jener "gespenstischen Messianizität" liegen, die, wie ich unterstelle, in Imo Moszkowicz´s "Zauberflöten"-Paradies umgeht? Dabei wäre Quelle, präzise bedacht, allerdings ein unendlich Heterogenes und Fremdes im Raum. (Derrida hat dafür Platons Wort Chora aus dem Timaios-Dialog bereit.) Dennoch oder gerade besonders dadurch: Ursprung in der Biographie und Ursprung im Archiv des Gedächtnisses, des hebräischen und des griechischen, brächten ein verwobenes Gespinst hervor, Textur hinter dem Text, das vermutete Gespenst in der Inszenierung.

Sie wäre eine gespenstische Textur höchster Aktualität, protestierte sie doch gegen das, was die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 12. September 2001, dem Tag nach den Terrorangriffen in den USA, in einem Untertitel deutlichst benannte:

In der Stunde, da die Türme des World Trade Center niedersanken, hat Europa sich verändert. Es unterliegt dem Zwang, Partei zu sein - die Rache kehrt in die Zivilisation zurück.

Und "Bild" schrie am gleichen Tag auf: "Großer Gott, steh uns bei!" Wobei? Bei der Vollstreckung SEINER Rache? Die FAZ lässt keine Zweifel offen:

Der Westen zieht Gerechtigkeit an wie einen Panzer und setzt den Helm des Heils auf sein Haupt und zieht an das Gewand der Rache...Das ist nicht bloß die Prophezeiung des Jesaja, das ist das politische Programm der nächsten Zukunft...Irgendjemand wird büßen müssen, es ist fast egal wer. Die Rache der Apokalypse richtet sich nicht nach der Gerechtigkeit, sie ist die Gerechtigkeit und deshalb unfehlbar...Jetzt kehrt, ob wir es wollen oder nicht, die Rache nach Europa zurück. Und sie vollzieht sich an uns, indem wir meinen, sie auszuüben.
(Der vollständige Text sowie die "Bild"-Ausgabe sind zu finden in: Baum/Fischer, Under Attack. Der 11. September und die Folgen in der Berichterstattung der Medien, hrsg.v. Adolf Grimme Institut, Marl 2001, S. 16)

Mein ist die Rache!, Lehrer Tints Jesaja-Vers, Rache der Apokalypse, Rachewahn von 1096 -, wer meint, das sei der zivilisatorisch im Prozess der Aufklärung längst überholte Schnee von gestern, muss sich aktuell eines Besseren belehren lassen. Mit der Rache ist der religiöse Wahn und mit ihm immer wieder neue Rache in die postmoderne Zivilisation zurückgekehrt. Gegen diesen aktuellen Teufelskreis könnte die Textur des Zauberflötenzaubers, sein Text hinter der Szene, nicht nur moralisch, sondern auch analytisch protestieren. Sie könnte uns in die Position eines analytischen Blicks versetzen, der zwar dem Archiv verschrieben bleibt, dessen religiösen "Wahrheiten" aber nicht wahnhaft verfallen ist:

Eine solche Analyse wird nicht anders können, als diesem Krieg der messianischen Eschatologien, den wir elliptisch unter dem Ausdruck "Aneignung von Jerusalem" zusammenfassen, eine tragende Rolle zuzuerkennen. Der Krieg um die "Aneignung von Jerusalem" ist heute der Weltkrieg. Er findet überall statt, er ist die Welt, er ist heute die singuläre Figur ihres "out-of-joint"-Seins.
(Jacques Derrida, Marx´ Gespenster, S. 87)

Für die moralisch kritische, zugleich aber auch analytisch begreifende Wahrnehmung eines von apokalyptisch-messianischer Rache erfüllten "out-of-joint" - Seins, das Krumme der Gegenwart, wäre das "Zauberflöten"-Paradies von Imo Moszkowicz mit der Textur seiner Archiv- und Biographie-Gespenster ein idealer Bühnenraum offenen Blicks auf ein weltweites, von Krieg und Rachsucht geschädigtes Publikum. Archiv und Biographie setzten dort jenseits jeder schalen Aufklärungsmoral in Szene, was dann der Regisseur als Botschaft dieser Inszenierung verkünden wird:

Der diabolische, zerstörerische Rachegedanke ist eine alles Menschliche vernichtende Gefahr, auf die ich mit jeder sich mir bietenden Gelegenheit aufmerksam mache - so auch hier - und ich erhoffe mir, damit einen Anstoß zu geben, der die Menschheit auffordert, endlich von diesem Übel zu lassen; mit dieser Erlösung gewönnen wir die paradiesische Freiheit wieder.
(Imo Moszkowicz, Zauberflötenzauber. S. 118)

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