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Vierecke

Woche der Brüderlichkeit 1999
Die "Enterbung" der Synagoge durch die Kirche

Das christliche Siegerbewußtsein findet in einer mittelalterlichen Bildallegorie sinnenfälligen Ausdruck: zwei Frauengestalten, die Kirche und Synagoge darstellen.
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Die Verkörperung der Kirche ist oft eine stolze Jungfrau, eine Krone auf dem hocherhobenen Haupt, Fahne und Kelch in Händen. Die Synagoge dagegen erscheint oft als alte Frau mit gebeugtem Rücken und unordentlicher Kleidung, die Krone verrutscht auf dem Kopf und die Augen geschlossen: ein Symbol für die Blindheit der Juden.

Ein Meßbuch der Abtei St. Pierre in Gent aus dem 13. Jahrhundert setzt dieses Thema durch vier Symbole in bezeichnender Gruppierung um: auf der Seite der Kirche das Kreuz mit der Siegesfahne und der Kelch, beide hoch erhoben; auf der Seite der Synagoge dagegen die Gesetzestafeln und der Kopf eines Ziegenbocks, beide nach unten gesenkt. Kelch und Ziegenbock befinden sich jeweils in der rechten, Kreuzstab und Gesetzestafeln jeweils in der linken Hand. Diese beiden Gegensatzpaare bringen den Triumphalismus der Kirche auf den Punkt:

Das Kreuz Jesu triumphiert über das Gesetz des Moses, der Kelch des Blutes Christi, das Opfer des "Neuen Bundes", über das Blut der Böcke, das Opfer des "Alten Bundes". Hingewiesen sei hier auf das Schriftband unter dem Tabernakel der Marienkirche: "Dieser Bund wird ewig währen und der alte hat ein End´."

Dabei schwingt im Bild des Ziegenbocks etwas mit, das in einem christlichen Deutungshorizont Assoziationen mit dem Teufel auslöst: In ihrer Verdrängung des Naturhaften, des Sexuellen und Triebhaften aus dem Bild von Gott war den Christen der bocksgestaltige, griechische Naturgott Pan zum Teufel geworden. In den Juden fand man das Verdrängte wieder: die "Synagoge des Satans" als Projektion eines christlich gespaltenen Gottesbildes.

Historia Helvetica

Diesen Schritt von der "Enterbung" zur Verteufelung der Juden spiegelt ein Bild aus der "Historia Helvetica" (15. Jahrhundert) wider. Erneut werden die Frauengestalten Kirche und Synagoge gezeigt. Sie stehen rechts bzw. links des Baumes aus dem Paradies. An dessen Stamm ringelt sich eine Schlange empor. Gekrönt sind seine fruchtbe- hangenen Zweige von einem Kreuz. Die "Kirche" ist prächtig gekleidet und verteilt die Früchte des Baumes an kirchliche Würdenträger. Die "Synagoge" dagegen ist nackt und häßlich, über sich den Kopf der teuflischen Schlange. An Juden verteilt sie Gebilde, die an grinsende Halloween-Kürbisse erinnern. Ein Jude wird mit gehörntem Kopf gezeigt.

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